Frauenbewegung und Selbstorganisation - ein Interview
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Die Basisgewerkschaft IP kämpft in Polen für höhere Löhne und niedrige Mieten. Ein Interview mit Agnieszka Mróz (Teil 1)
Die Basisgewerkschaft "Arbeiter-Initative" aus Polen ("Inicjatywa Pracownicza", IP) ist eine Schwesterorganisation der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU). Agnieszka Mróz ist Mitglied der IP. Mit der Gewerkschaftsaktivistin sprach für die Graswurzelrevolution Monika Kupczyk. (GWR-Red.)
Monika Kupczyk: Anfang Januar 2018 lehnte der Sejm [eine der beiden Kammern des polnischen Parlaments - M.K.] erneut das Projekt "Retten wir die Frauen!" zur Liberalisierung der Anti-Abtreibungsgesetze ab. Stattdessen wurde das "Stopp Abtreibung"-Projekt von "Ordo Iuris" zur Diskussion gestellt (vgl. GWR 425). Dies führte zu weiteren Protesten, vor allem von Frauen, die im Kampf für ihre Reproduktionsrechte den Zugang zu legalen und sicheren Abtreibungen fordern. Auch die Mitglieder der Basisgewerkschaft "Arbeiter-Initiative" nahmen an den letzten Protesten teil, wie z.B. im Januar in Warschau. Und das nicht zum ersten Mal. Wie engagiert(e) sich die "Arbeiter-Initiative" bei den Protesten und dem Frauenstreik?
Agnieszka Mróz:Die IP-Gewerkschafterinnen nehmen seit 2016 an den Protesten gegen die Verschärfung der Abtreibungsgesetze aktiv teil. Unsere Genossinnen, die als Erzieherinnen in Kinderkrippen oder als Angestellte im Gastronomie- und Kultursektor arbeiten, gingen am 3. Oktober 2016 [sog. "Schwarzen Montag" - M.K.], dem Tag der größten Mobilisierungen (vgl. GWR 413), auf die Straßen. Ich bin aktives IP-Mitglied und arbeite im Amazon-Lager in der Nähe von Poznan.
Am "Schwarzen Montag" waren auch einige meiner Arbeitskolleginnen beteiligt. Es gab eine Mobilisierung in über 150 Städten und Gemeinden, wo wir als IP aktiv sind. Wir waren vor Ort, haben bei den Kundgebungen Reden gehalten, die für diesen Anlass von uns vorbereitete Zeitung verteilt, Transparente gemalt. Die Proteste im Januar 2018 fanden hauptsächlich in Warschau statt.
Sie zielten in erster Linie auf Parlamentarier verschiedener politischer Richtungen, die bei der letzten Abstimmung im Sejm Fraueninteressen verrieten.
Obwohl das "Stopp Abtreibung"-Projekt zur weiteren Diskussion ins Parlament ging, hat dies momentan keine große Bedeutung, weil es (hoffentlich) lange dort steckenbleiben wird. Deshalb war die Mobilisierung zuletzt nicht so groß, denn jetzt ist es eher ein politisches Spiel. Die politische Atmosphäre scheint derzeit so zu sein, dass der Frauenstreik eine solche soziale Stärke zeigt, dass die rechte Regierung ["Gerecht und Gerechtigkeit", "Prawo i Sprawiedliwosc, PiS - M.K.] zwei Jahre vor der Wahl keine weitere Welle der Unzufriedenheit riskieren wird.
Die Frauenproteste in Polen haben nicht 2016 begonnen - sie finden seit Jahren in verschiedenen Bereichen statt.
Zum Beispiel haben die Frauen aus den Kinderkrippen in Poznan, die in unserer Gewerkschaft seit 2011 organisiert sind, viel erkämpft, u.a. Lohnerhöhungen, eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, aber auch das Blockieren der Privatisierungsprozesse der öffentlichen Kinderkrippen. Die Wellen der Proteste von Krankenschwestern, kürzlich auch von Supermarktarbeiterinnen, Sozialarbeiterinnen, Betreuerinnen der Kinder mit Behinderung und anderen, sind über Polen gegangen. Meistens wurden diese Proteste nicht strikt feministisch bezeichnet, aber es war uns klar, dass sie wichtige Fragen der sozialen Gerechtigkeit berührten.
Zum Beispiel waren die Forderungen der Erzieher*innen aus den Kinderkrippen nicht auf Probleme am Arbeitsplatz beschränkt. Die Frauen aus mehreren Kinderkrippen in Poznan forderten gemeinsam die Änderung der Haushalts- und Sozialpolitik der Stadt, als Widerstand gegen die Marginalisierung der Bereiche, denen Frauen zugeordnet werden, u.a. Pflege, Soziales, Bildung, Kultur. Sie thematisierten auch öffentlich, dass normalerweise auf ihren Schultern die Familienpflichten und der damit verbundene Familienunterhalt ruhen. Also werden sie nicht aufhören, für den allgemeinen Zugang zu medizinischer Versorgung mit der Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs zu kämpfen. Das bedeutet für uns Feminismus.
Eine Genossin hat gerade einen Film über diesen Kampf gedreht. Der hatte am 17. Februar 2018 in Poznan Premiere. Im Film ist zu sehen, dass wir durch den Konflikt um die Verschärfung des Abtreibungsrechts in Verbindung mit den sozialen und arbeitsrechtlichen Forderungen unsere Stärken erkannten, so dass wir eine reale Bedrohung für die herrschenden Machtverhältnisse darstellen können.
Monika: Die Debatte über die Verschärfung der Abtreibungsgesetze und die damit einhergehenden Frauenproteste, die seit 2016 stattfinden, erreichten ihren Höhepunkt im Oktober 2016. Das Thema "Abtreibung" hat in Polen immer wieder Kontroversen ausgelöst, aber solche Proteste wie beim Frauenstreik hatten wir vorher nicht. Was hat die Intensivierung der Proteste beeinflusst und in Konsequenz zum landesweiten Frauenstreik geführt?
Agnieszka: Der Versuch, ein totales Verbot des Abtreibungsrechts einzuführen, hat vielen von uns die Augen geöffnet. Die Diskussionen im Sejm waren erschreckend in dem Sinne, dass sie zeigten, dass Politiker*innen Gesetze schaffen, die nicht auf Wissen, sondern auf ihrem Glauben und ihren Vorurteilen gegenüber Frauen beruhen. Viele von uns wissen bereits, dass wir nicht mehr in Zeiten leben, in denen wir auf die Herren aus der Kanzel hören müssen, die uns mit der Hölle drohen. Viele Frauen sind nicht mehr damit einverstanden, dass jemand für uns entscheidet, also die Männer im Sejm und in der Kirche. Es ist sicherlich eine Frage der Generation. An dem Frauenstreik haben sich neben den älteren Frauen auch viele jüngere beteiligt, die z. B. schon im Ausland gearbeitet haben und sahen, wie allgemein zugänglich die "Pille danach" oder allgemein die Empfängnisverhütung ist. Es stellte sich plötzlich heraus, dass der "[Abtreibungs-]Kompromiss", der zwischen Klerus und Politikern in den frühen 90er Jahren ausgemacht wurde, für sie weit weg ist, dass - im Gegensatz zu dem, was die Herrschenden wollen - der gesamten Diskurs verschoben ist (vgl. GWR 425). Schon vor zehn Jahren wurde der "[Abtreibungs-]Kompromiss" vor allem von feministischen Gruppen in Frage gestellt, aber heute von mehr und mehr Menschen, sowohl im Mainstream, als auch in den Betrieben, an den Arbeitsplätzen. Der Frauenstreik war der Moment, in dem wir sahen, wie viele wir sind und der die weiteren Proteste antrieb. Meine Genoss*innen - die noch nie in einer "Pro-Choice-Bewegung" involviert waren - sagten nun: "JedeR hat sein Gewissen und ist für sich selbst mit seinen eigenen Entscheidungen verantwortlich. Frauen müssen etwas zu sagen haben: letztendlich sind sie diejenigen, die für viele Jahre die Härten und Folgen von Schwangerschaft und Geburt tragen. Außerdem leben wir an der Halbperipherie Westeuropas, wo die Politiker*innen wollen, dass wir gebären, aber nicht an uns interessiert sind und unsere Arbeit nicht gut bezahlt wird."
Die Proteste haben sich übers Internet verbreitet, brachen schnell in die Mainstream-Medien ein. Es half auch eine simple Idee, um mitzumachen: das Symbol des Frauenstreiks war schwarze Kleidung. Schwarz gekleidete Frauen fotografierten sich bei der Arbeit, posteten diese Fotos auf Facebook und fühlten, dass sie an etwas Wichtigem teilnahmen.
Monika: Laut Soziolog*innen nehmen an den Protesten viele bislang politisch inaktive Frauen (und Männer) teil, die sich ab 2016 "von unten" zu organisieren begannen, um ihren Widerstand gegen die Verschärfung des Anti-Abtreibungsgesetzes zu zeigen. Bislang waren es in der Regel feministische Kreise, die aktiv für die Reproduktionsrechte der Frauen kämpften. Was hat sich geändert? Was hat dazu geführt, dass andere (auch außerparlamentarische) soziale Gruppen sich Protesten angeschlossen haben?
Agnieszka: Das stimmt. Es war das Phänomen und die Stärke dieses Protestes, dass Frauen von außerhalb der Hauptstadt und feministischen Gruppen auf die Straße gingen. Der Protest hatte eine enorme Größe, und sein charakteristisches Element war, dass Märsche und Kundgebungen in zig Städten in Polen stattfanden - sowohl in den Groß- und Kleinstädten, als auch in den Gemeinden. In manchen Städten waren es oft die ersten bedeutenden öffentlichen Versammlungen nach 1989. Dieser Protest wurde nicht von der bürgerlichen Mittelschicht dominiert, was ihn von vielen früheren feministischen Initiativen unterscheidet. Es muss jedoch auch zugegeben werden, dass es Jahre gab, in denen die sog. Manifas [sog. Manifa - eine feministische Demonstration zum 8. März, die jedes Jahr landesweit in Polen stattfindet - M.K.] einen prosozialen und proarbeiterischen Charakter hatten, und auch dann nahmen die Arbeiterinnen an ihnen teil. Ich habe einige Interviews mit IP-Genossinnen geführt und sie gefragt, was sie dazu brachte, auf die Straße zu gehen. Alle sagten, dass dieser Angriff auf die Frauenrechte nur Öl ins Feuer gießt, vor allem nach vielen Jahren Schufterei auf Basis von sog. "Müllverträgen" ("umowy smieciowe") [ein befristeter Arbeitsvertrag, der auch in Form eines Werk- oder Dienstleistungsvertrags sein und zur erzwungenen Scheinselbständigkeit führen kann; oft ohne soziale Absicherung und Abgaben seitens der Arbeitgeber*innen - M.K.], mit niedrigen Löhnen, oft erzwungenen zwei Jobs, im Akkord über eigene Stärke hinaus arbeiten zu müssen, ohne Zugang zu medizinischer Versorgung, ohne Zugang zu bezahlbaren Kinderkrippen usw. Dies alles in Zeiten, als uns gesagt wurde, dass Polen die Krise 2008 gut überstanden hat. Dies war der Nährboden für die Proteste.
In den letzten 27 Jahren in Polen hat keine Regierung den neoliberalen Kurs der Privatisierung und des Sozialabbaus in Frage gestellt. Die Budgetkürzungen für Schulen, Krankenhäuser, Kindergärten, Kantinen, Gemeindezentren usw. führen immer noch zu einer Verschlechterung der Lebensbedingungen vieler Frauen und Arbeiterfamilien. Zwischen 1990 und 2005 sank die Zahl der öffentlichen Kindergärten um 38% und die der Kinderkrippen um 74%. Der Anteil der Kinder, die außerschulische Aktivitäten besuchen, ist von 50% in Grundschulen und 70% in Gymnasien auf nur noch 10% zurückgegangen. Der Staat wendet sich von der Verpflichtung ab für ältere Menschen und Kinder die Betreuung zu sichern und wälzt es dadurch auf die Schultern von Frauen ab.
Kornelia, eine IP-Genossin, die als Sozialarbeiterin mit Obdachlosen arbeitet, erzählte mir, dass sie mit zehn Arbeitskolleginnen aus ihrem Sozialzentrum streikte: "Wir nehmen demonstrativ den Sonderurlaub! Ich bin eher im Alter einer Großmutter, aber das betrifft alle Frauen, unsere Töchter, Schwestern, Cousinen." Sie erklärte, dass es für sie klar ist, dass Abtreibung immer ein Dilemma und eine schwierige Entscheidung für eine Frau ist. Von daher muss man sie nicht noch zusätzlich unterdrücken - "Arme Frauen, mit denen ich jeden Tag arbeite, werden noch mehr ausgeschlossen, weil sie nicht ins Ausland fahren können, um dort den Schwangerschaftsabbruch zu haben. In Polen mangelt es vielen Familien an überlebensnotwendigen Mitteln, in Folge der Zwangsräumungen werden Menschen auf den Bürgersteig gesetzt, aber niemand von der Regierung kümmert sich darum. Sie behandeln nicht nur Frauen, sondern ganze Familien wie eine Sache. Wir sind stinksauer!"
Zusammen mit meinen IP-Genossinnen bei Amazon betonten wir, dass wir empört sind über die Zugangseinschränkung zu pränatalen Untersuchungen und dass die Entscheidung über die Köpfe der Frauen hinweg getroffen wird. Viele von uns arbeiten körperlich hart, auch in der Nachtschicht, schleppen Pakete, sollen vorgegebene Anforderungen erreichen, unter ständigem Druck, viele Kilometer machen. Die Art der Arbeit hat Einfluss auf unsere Gesundheit, es gibt das Risiko der Gefährdung der Schwangerschaft oder es kann dazu führen, dass die Schwangerschaften für unsere Gesundheit oder unser Leben gefährlich sind. Es ist schwer sich vorzustellen, dass wir in einem Polizeistaat leben könnten, der über uns wachen wird, wenn eine von uns in solch eine ungewollte Schwangerschaft gerät.
Monika: Wer nimmt an den Demonstrationen und dem Frauenstreik teil? Welche sozialen Gruppen engagieren sich politisch im Kampf für Reproduktionsrechte der Frauen? Was ist ihre Motivation? Was sind ihre Forderungen?
Agnieszka: Ich denke, dass Frauen in Polen seit langen auf ihre Weise streiken - sie bringen nicht so viele Kinder zur Welt. Wir haben eine der niedrigsten Geburtsraten in Europa. Und unabhängig davon, welche organisierten politischen Kräfte sich für den Kampf um die Frauenrechte einsetzen, ist diese Geburtsverweigerung der Frauen entscheidend. Es führte dazu, dass das "Programm 500+" eingeführt wurde, was ein ziemlich hohes Kindergeld (in Höhe von 1/3 des Nettomindestlohns) darstellt, um uns zum Gebären zu bringen (vgl. GWR 425).
Der "Frauenstreik" war ein guter Mobilisierungsslogan, der dazu diente, Ärger auszudrücken und seinen wirtschaftlichen Hintergrund hervorzuheben. Es war keine formelle Organisation. Ein Streik ist eine Form des Drucks, der von Arbeiter*innen ausgeübt wird, in diesem Fall von Frauen, die sich weigern, die ihnen auferlegten Pflichten zu erfüllen. Der Streik lenkt die Aufmerksamkeit auf die Unterordnung unseres Lebens nach den Regeln der Arbeit, einschließlich der Reproduktionsarbeit. Ich denke, es ist wichtig, dass es die Idee eines Streiks war, auch wenn es tatsächlich Kundgebungen, Proteste, Märsche, manchmal nach Feierabend waren, aber es funktionierte hier. Dies unterscheidet auch diese Frauenbewegung von der Bewegung, die von der liberalen Elite angeführt wird, deren einziges Ziel es ist, die Macht zu übernehmen, die derzeit von der PiS ausgeübt wird. Proteste gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts waren lange Zeit in einer nicht hierarchischen Art und Weise organisiert, an der unterschiedliche Milieus und Menschen teilnahmen, ohne klare Anführerinnen.
Die Fortsetzung des Interviews erscheint im April 2018 in der Graswurzelrevolution Nr. 428
http://www.graswurzel.net/427/ip.php
ie polnische Basisgewerkschaft IP ("Inicjatywa Pracownicza"; "Arbeiter-Initative") kämpft u.a. für höhere Löhne und niedrige Mieten. Monika Kupczyk im Gespräch mit IP-Aktivistin Agnieszka Mróz (Teil 2)
Fortsetzung aus Graswurzelrevolution Nr. 427, März 2018
GWR: Die derzeitige Situation der Frauen in Polen in Bezug auf ihre Reproduktionsrechte ist dramatisch. Erschwerter Zugang zu Kontrazeptiva, Einschränkung der pränatalen Untersuchungen, Kriminalisierung der Abtreibung (sowohl für Frauen als auch für Ärzte) oder Einführung einer Gewissensklausel für Ärzte. Dies sind einige der Punkte des von "Ordo Iuris" vorgeschlagenen Projekts. Einige sind bereits in Kraft getreten, zum Beispiel die Einführung der Empfängnisverhütung nur auf Rezept. Welche Konsequenzen hat die von "Ordo Iuris" vorgeschlagene Veränderung für Frauen in Polen? Welche Auswirkungen haben sie in der Lebens- und Arbeitssituation? Was bedeutet es konkret?
Agnieszka Mróz: Diese Veränderungen führen zu einer Zunahme des "Abtreibungsuntergrunds" und "Abtreibungstourismus" ("turystyka aborcyjna") nach Deutschland oder in die Tschechische Republik. Natürlich können es sich nicht alle Frauen leisten, einige nur auf Kosten anderer Entsagungen oder durch Darlehen.
Es wird zur Kriminalisierung der Ärzte führen, die Abtreibungen durchführen. Man hört jetzt manchmal über die Ärzte, die solche Abtreibungen im Keller durchführen, dass sie Masken tragen, damit die Frauen ihre Gesichter nach dem Schwangerschaftsabbruch nicht sehen könn(t)en. Die Frauen können noch eine Stunde nach der Abtreibung bleiben und dann soll(t)en sie schnell den "Tatort" verlassen. Einerseits begannen manche Grenzschutzstellen bereits die aus dem Ausland von der Gruppe "Women on Web" nach Polen gesendeten Pakete abzufangen. Andererseits gibt es einen wachsenden Schwarzmarkt der Pillen, die man über das Internet kaufen kann, wobei man nicht wissen kann, ob man diesen Quellen vertrauen kann oder es sich um Fälschungen handelt. Dazu kommt, dass die Frauen unter Zeitdruck stehen. Es wird immer schwieriger mit Abtreibungen, auch bei Fällen von Vergewaltigung oder einer Gesundheitsgefährdung der Frau. Diese sind in Polen noch legal, aber man hört oft, dass die Ärzte sich entweder auf die Gewissensklausel berufen und Frauen wegschicken oder sie vergeuden mit Befürchtungen die wertvolle Zeit, in der für die Frauen eine Abtreibung noch erlaubt ist.
GWR: In der laufenden Debatte über die Verschärfung der Anti-Abtreibungsgesetze werden Frauen wie Objekte behandelt. Ihr Recht, über ihren Körper und ihr eigenes Leben zu entscheiden, wird abgelehnt. Ihre Rolle beschränkt sich auf die einer "Gebärmaschine", was sich in der geltenden Gesetzgebung widerspiegelt. Zusätzlich zu der im Herbst 2017 eingeführten Erhöhung des Kindergeldes soll das Gesetz "Für das Leben" den Frauen eine einmalige Zahlung von ca. 1.000 Euro für die Geburt eines "lebenden Kindes mit einer schweren und irreversiblen Behinderung oder einer unheilbaren Krankheit, die das Leben bedroht" garantieren. Gleichzeitig können Betreuer*innen der Menschen mit Behinderung oder Kindergärtner*innen nicht auf staatliche Unterstützung zählen. Die Reproduktionsarbeit wird somit weiterhin - ob professionell oder als Teil der traditionellen Gechlechterrollenverteilung im Rahmen der Arbeit in der Familie - von Frauen ohne Bezahlung durchgeführt. Wie betrachtet die IP diese Probleme?
Wie werden sie durch die in der IP organisierten Erzieherinnen betrachtet?
Wie sind deren Arbeitsbedingungen, Entlohnung und Verpflichtungen? Was sind ihre Forderungen und wie wollen sie diese erreichen?
Agnieszka Mróz: Viele Frauen in Polen arbeiten auf der Basis von "Müllverträgen". Sie wurden entweder durch Arbeitsvermittlungsagenturen oder Subunternehmen eingestellt und verdienen weniger als zweitausend Złotych (ca. 500 Euro). Sie verbringen ihre Zeit beim Pendeln zum weit entfernten Arbeitsplatz, weil es in kleinen Städten keine Arbeitsplätze gibt. Die Amazon-Arbeiter*innen fahren täglich bis zu 100 km (einfacher Weg). Wir reden jeden Tag bei der Arbeit über den Mangel an bezahlbaren Wohnungen; über steigende Preise; über lange oder gar keine Wartetermine für ärztliche Untersuchungen [manchmal muss man monatelang auf einen Termin warten oder bekommt keinen, da das Jahresbudget für bestimmte Untersuchungen oder Anwendungen aufgebraucht wurde - M.K.]; über die Tatsache, dass es einer von uns nicht gelang, ihr eigenes Kind zu umarmen, bevor sie zur Nachtschicht musste; über Angst vor einer Schwangerschaft. Wir fragen uns dabei, ob wir angesichts solcher Umstände besser zum Arbeiten ins Ausland gehen sollen. Meine Arbeitskolleginnen, die Kinder haben, kommen um 7 Uhr morgens von der Nachtschicht nach Hause zurück, begleiten direkt die Kinder zur Schule, danach zurück nach Hause, um zu kochen, waschen, zwischen 10 und 13 Uhr schlafen, dann die Kinder von der Schule abholen und um 15 Uhr müssen sie mit einem Bus für die Arbeiter*innen wieder zur Arbeit fahren. Wir wollen so nicht leben.
Deshalb organisieren wir uns bei der IP, um unsere Verhandlungsmacht zu steigern, da uns klar ist, dass uns höhere Löhne zustehen, aber wir sprechen öfter darüber, dass wir kürzere Arbeitszeiten verlangen und auch unter weniger Druck arbeiten wollen. Auch die Arbeiter*innen der Kinderkrippen sagen, dass es bei ihnen zu viele Kinder in den Gruppen gibt. Und bei Amazon wiederholen wir ständig, dass die Anforderungen zu hoch sind.
Für uns ist daher die Forderung nach dem Abtreibungsrecht eng mit Sozial- und Arbeitsrechten verbunden, deshalb versuch(t)en wir verschiedene Forderungen und Initiativen einzubeziehen. Es gibt keine Frauenrechte ohne menschenwürdige Arbeitsbedingungen, ohne Zugang zu Pflegeeinrichtungen, ohne Obdach. Wie eine der IP-Genossinnen, die in der Gastronomie arbeitet, sagte: "Ich werde streiken, weil niemand meinem Kind etwas zu Essen geben wird, wenn der nächste befristete Vertrag ausläuft, wenn die Alimente nicht kommen oder wenn ich krank werde. Ich habe bereits ein Kind und in solch einem Land werde ich kein weiteres zur Welt bringen. Ich möchte nicht gezwungen werden auszuwandern oder in der Slowakei für die Sterilisation oder ein Verhütungsimplantat bezahlen."
Wir handeln auf verschiedene Art und Weise. Im Fall der Erzieherinnen werden die lokalen Behörden unter Druck gesetzt; Streikposten während der Sitzungen des Stadtrats gemacht; eine Koalition mit den Eltern geschaffen. Die IP nutzt die Möglichkeiten, die uns das Gewerkschaftsgesetz gibt: wir führen Tarifverhandlungen, organisieren Streik-Urabstimmungen, bieten Gewerkschaftsberatung an, kümmern uns um die Arbeitssicherheit usw.
GWR: Die Abwesenheit der liberalen parlamentarischen Opposition während der Abstimmung trug dazu bei, dass das Projekt "Retten wir die Frauen!" zur Diskussion im Sejm abgelehnt wurde. Diese Kompromittierung der liberalen Opposition und der sie unterstützenden Feminist*innen trägt dazu bei, dass die Organisator*innen und Teilnehmer*innen des Frauenstreiks öfter als einzige ernsthafte politische Kraft in Polen wahrgenommen werden. Wie sieht es aus Sicht der Teilnehmer*innen und Organisator*innen des Streiks und der Proteste aus? Welche Bedeutung hat der Frauenstreik für die Situation der Frauen in Polen allgemein?
Agnieszka Mróz: Seit zwei Jahren versuchen Liberale, welche die Macht verloren haben, die Unzufriedenheit von Frauen auszunutzen, um wieder öffentliche Unterstützung zu erhalten. Die Abstimmung über das Projekt "Retten wir die Frauen!" hat nachdrücklich bestätigt, wie viel die liberale Opposition wert ist. Wir brauchen keine Politiker*innen. Der Slogan "Macht ist eine Frau" ist falsch. Hat sich unsere Situation geändert seit mehr Frauen im Parlament vertreten sind? Sind unsere Löhne höher, wenn Managerinnen und nicht Manager unsere Arbeit beaufsichtigen? Was ist die Ursache für niedrige Löhne für Frauen, Kürzungen der sozialen Sicherheit, das Verbot der Abtreibung - der Mangel an Frauen an der Macht oder das Wirtschaftssystem, das nur durch die Aufrechterhaltung sozialer Ungleichheiten funktioniert? Können Menschen, die über Macht in Institutionen verfügen, die jahrhundertelang die Freiheit von Frauen eingeschränkt haben, uns befreien und zur Beseitigung der sozialen Ungleichheiten führen? Für uns war besonders ärgerlich, dass sich die Opposition für längere Zeit an die Frauenproteste anhängte, einige von denen erfolgreich in den Basisstrukturen mitmachten und sie so zu monopolisieren versuchten. So zum Beispiel die Organisation "Landesweiter Frauenstreik" ("Ogólnopolski Strajk Kobiet"), die unserer Meinung nach keine basisdemokratische Struktur mehr ist und versucht, sich die Vorleistungen der Graswurzelbewegung anzueignen.
Wir sind keine Vertreterinnen der Wirtschaft oder Politik. Wir wollen nicht als Expertinnen, Anführerinnen oder Geschäftsfrauen auftreten. Wir sind aktiv in Gewerkschaften, Mieter*innen-Bewegungen und anderen Gruppen, die gegen Ausbeutung, Armut und mangelnden Einfluss auf die uns umgebende Realität kämpfen.
GWR: Plant die IP weitere Proteste im Rahmen des Frauenstreiks? Wie sehen Eure Pläne für den Frauenkampftag aus?
Agnieszka Mróz: Natürlich werden wir auf den Straßen an den sogenannten Manifa teilnehmen, die in unterschiedlichen Städten stattfinden werden. Am 3. März organisieren wir als Basisgewerkschaft IP den Sozialen Frauenkongress in Pozna?. Es wird die erste Veranstaltung dieser Art sein, deren Ziel es ist, die Frauen zusammenzubringen, die hauptsächlich in zwei Bereichen kämpfen: am Arbeitsplatz und als Teil der Mieter*innen-Bewegung. Wir haben verstanden, dass Arbeits- und Mietprobleme - also Lohn- und Miethöhe - miteinander verbunden sind.
Als Frauen haben wir auch Einfluss auf die hauptsächliche Reproduktionsarbeit. Interessanterweise kann man seit einigen Jahren beobachten, dass sowohl die Mieter*innen-Bewegung und unsere IP-Betriebsgruppen sich immer mehr feminisieren und die Frauen in vorderster Linie aktiv sind: sie sind diejenigen, die die Zwangsräumungen blockieren, Flugblätter schreiben und vor den Betrieben verteilen, andere beraten usw.
Wir nannten unseren Kongress "Sozialer Frauenkongress: Für hohe Löhne und niedrige Mieten", was im Widerspruch steht zu "Frauenkongressen" auf denen Politikerinnen und Vertreterinnen von Arbeitgeber*innen-Organisationen auftreten.
Sie repräsentieren uns nicht, sie sprechen nicht in unserem Namen. In der Einladung zu dieser Veranstaltung schreiben wir, dass wir über gemeinsame Erfahrungen und Bedürfnisse sprechen wollen. Darüber, wie wir uns wehren können gegen Arbeit, die unser Leben in einen Alptraum verwandelt; gegen die hohen Kosten des Lebensunterhalts, die uns dazu zwingen, noch härter zu arbeiten; gegen Politiker und Chefs, die unsere Bedürfnisse ignorieren.
Wir fordern Lohnerhöhungen und feste Verträge, egal ob wir in einer Fabrik, Kulturinstitution, Kinderkrippe oder einem Supermarkt arbeiten. Wir fordern die Bezahlung für Arbeit, die wir in unseren eigenen Haushalten für umsonst erledigen müssen. Wir verlangen kürzere Arbeitstage, um mehr Freizeit für uns und unsere Angehörigen zu haben.
Wir fordern den Stopp von Zwangsräumungen und für alle die Gewährleistung des Zugangs zu Wohnungen, in denen wir im Winter nicht erfrieren. Wir verlangen die Entwicklung von öffentlichen Betreuungseinrichtungen für Kinder und ältere Menschen. Außerdem kostenlose öffentliche Verkehrsmittel und den unbegrenzten Zugang zu medizinischer Versorgung.
Der erste Teil des Treffens wird eine offene Diskussion über die Probleme sein, mit denen wir an unseren Arbeitsplätzen und Wohnorten konfrontiert sind. Im zweiten Teil werden wir über Pläne und die aktuellen Formen des Protests sprechen, wie wir soziale Frauenbewegungen aufbauen können, welche Strategien für Jetzt und für Morgen geeignet sind.
Wir hoffen, dass diese Veranstaltung die Frauen konsolidiert, die sich seit Jahren organisieren, für die der Frauenstreik ein wichtiges Ereignis war, aber er muss seinen Weg in den breiteren Kontext der Geschichte der sozialen Kämpfe für die Frauenrechte finden.
GWR: Herzlichen Dank!
Interview: Monika Kupczyk
ie polnische Basisgewerkschaft IP ("Inicjatywa Pracownicza"; "Arbeiter-Initative") kämpft u.a. für höhere Löhne und niedrige Mieten. Monika Kupczyk im Gespräch mit IP-Aktivistin Agnieszka Mróz (Teil 2)
Fortsetzung aus Graswurzelrevolution Nr. 427, März 2018
GWR: Die derzeitige Situation der Frauen in Polen in Bezug auf ihre Reproduktionsrechte ist dramatisch. Erschwerter Zugang zu Kontrazeptiva, Einschränkung der pränatalen Untersuchungen, Kriminalisierung der Abtreibung (sowohl für Frauen als auch für Ärzte) oder Einführung einer Gewissensklausel für Ärzte. Dies sind einige der Punkte des von "Ordo Iuris" vorgeschlagenen Projekts. Einige sind bereits in Kraft getreten, zum Beispiel die Einführung der Empfängnisverhütung nur auf Rezept. Welche Konsequenzen hat die von "Ordo Iuris" vorgeschlagene Veränderung für Frauen in Polen? Welche Auswirkungen haben sie in der Lebens- und Arbeitssituation? Was bedeutet es konkret?
Agnieszka Mróz: Diese Veränderungen führen zu einer Zunahme des "Abtreibungsuntergrunds" und "Abtreibungstourismus" ("turystyka aborcyjna") nach Deutschland oder in die Tschechische Republik. Natürlich können es sich nicht alle Frauen leisten, einige nur auf Kosten anderer Entsagungen oder durch Darlehen.
Es wird zur Kriminalisierung der Ärzte führen, die Abtreibungen durchführen. Man hört jetzt manchmal über die Ärzte, die solche Abtreibungen im Keller durchführen, dass sie Masken tragen, damit die Frauen ihre Gesichter nach dem Schwangerschaftsabbruch nicht sehen könn(t)en. Die Frauen können noch eine Stunde nach der Abtreibung bleiben und dann soll(t)en sie schnell den "Tatort" verlassen. Einerseits begannen manche Grenzschutzstellen bereits die aus dem Ausland von der Gruppe "Women on Web" nach Polen gesendeten Pakete abzufangen. Andererseits gibt es einen wachsenden Schwarzmarkt der Pillen, die man über das Internet kaufen kann, wobei man nicht wissen kann, ob man diesen Quellen vertrauen kann oder es sich um Fälschungen handelt. Dazu kommt, dass die Frauen unter Zeitdruck stehen. Es wird immer schwieriger mit Abtreibungen, auch bei Fällen von Vergewaltigung oder einer Gesundheitsgefährdung der Frau. Diese sind in Polen noch legal, aber man hört oft, dass die Ärzte sich entweder auf die Gewissensklausel berufen und Frauen wegschicken oder sie vergeuden mit Befürchtungen die wertvolle Zeit, in der für die Frauen eine Abtreibung noch erlaubt ist.
GWR: In der laufenden Debatte über die Verschärfung der Anti-Abtreibungsgesetze werden Frauen wie Objekte behandelt. Ihr Recht, über ihren Körper und ihr eigenes Leben zu entscheiden, wird abgelehnt. Ihre Rolle beschränkt sich auf die einer "Gebärmaschine", was sich in der geltenden Gesetzgebung widerspiegelt. Zusätzlich zu der im Herbst 2017 eingeführten Erhöhung des Kindergeldes soll das Gesetz "Für das Leben" den Frauen eine einmalige Zahlung von ca. 1.000 Euro für die Geburt eines "lebenden Kindes mit einer schweren und irreversiblen Behinderung oder einer unheilbaren Krankheit, die das Leben bedroht" garantieren. Gleichzeitig können Betreuer*innen der Menschen mit Behinderung oder Kindergärtner*innen nicht auf staatliche Unterstützung zählen. Die Reproduktionsarbeit wird somit weiterhin - ob professionell oder als Teil der traditionellen Gechlechterrollenverteilung im Rahmen der Arbeit in der Familie - von Frauen ohne Bezahlung durchgeführt. Wie betrachtet die IP diese Probleme?
Wie werden sie durch die in der IP organisierten Erzieherinnen betrachtet?
Wie sind deren Arbeitsbedingungen, Entlohnung und Verpflichtungen? Was sind ihre Forderungen und wie wollen sie diese erreichen?
Agnieszka Mróz: Viele Frauen in Polen arbeiten auf der Basis von "Müllverträgen". Sie wurden entweder durch Arbeitsvermittlungsagenturen oder Subunternehmen eingestellt und verdienen weniger als zweitausend Złotych (ca. 500 Euro). Sie verbringen ihre Zeit beim Pendeln zum weit entfernten Arbeitsplatz, weil es in kleinen Städten keine Arbeitsplätze gibt. Die Amazon-Arbeiter*innen fahren täglich bis zu 100 km (einfacher Weg). Wir reden jeden Tag bei der Arbeit über den Mangel an bezahlbaren Wohnungen; über steigende Preise; über lange oder gar keine Wartetermine für ärztliche Untersuchungen [manchmal muss man monatelang auf einen Termin warten oder bekommt keinen, da das Jahresbudget für bestimmte Untersuchungen oder Anwendungen aufgebraucht wurde - M.K.]; über die Tatsache, dass es einer von uns nicht gelang, ihr eigenes Kind zu umarmen, bevor sie zur Nachtschicht musste; über Angst vor einer Schwangerschaft. Wir fragen uns dabei, ob wir angesichts solcher Umstände besser zum Arbeiten ins Ausland gehen sollen. Meine Arbeitskolleginnen, die Kinder haben, kommen um 7 Uhr morgens von der Nachtschicht nach Hause zurück, begleiten direkt die Kinder zur Schule, danach zurück nach Hause, um zu kochen, waschen, zwischen 10 und 13 Uhr schlafen, dann die Kinder von der Schule abholen und um 15 Uhr müssen sie mit einem Bus für die Arbeiter*innen wieder zur Arbeit fahren. Wir wollen so nicht leben.
Deshalb organisieren wir uns bei der IP, um unsere Verhandlungsmacht zu steigern, da uns klar ist, dass uns höhere Löhne zustehen, aber wir sprechen öfter darüber, dass wir kürzere Arbeitszeiten verlangen und auch unter weniger Druck arbeiten wollen. Auch die Arbeiter*innen der Kinderkrippen sagen, dass es bei ihnen zu viele Kinder in den Gruppen gibt. Und bei Amazon wiederholen wir ständig, dass die Anforderungen zu hoch sind.
Für uns ist daher die Forderung nach dem Abtreibungsrecht eng mit Sozial- und Arbeitsrechten verbunden, deshalb versuch(t)en wir verschiedene Forderungen und Initiativen einzubeziehen. Es gibt keine Frauenrechte ohne menschenwürdige Arbeitsbedingungen, ohne Zugang zu Pflegeeinrichtungen, ohne Obdach. Wie eine der IP-Genossinnen, die in der Gastronomie arbeitet, sagte: "Ich werde streiken, weil niemand meinem Kind etwas zu Essen geben wird, wenn der nächste befristete Vertrag ausläuft, wenn die Alimente nicht kommen oder wenn ich krank werde. Ich habe bereits ein Kind und in solch einem Land werde ich kein weiteres zur Welt bringen. Ich möchte nicht gezwungen werden auszuwandern oder in der Slowakei für die Sterilisation oder ein Verhütungsimplantat bezahlen."
Wir handeln auf verschiedene Art und Weise. Im Fall der Erzieherinnen werden die lokalen Behörden unter Druck gesetzt; Streikposten während der Sitzungen des Stadtrats gemacht; eine Koalition mit den Eltern geschaffen. Die IP nutzt die Möglichkeiten, die uns das Gewerkschaftsgesetz gibt: wir führen Tarifverhandlungen, organisieren Streik-Urabstimmungen, bieten Gewerkschaftsberatung an, kümmern uns um die Arbeitssicherheit usw.
GWR: Die Abwesenheit der liberalen parlamentarischen Opposition während der Abstimmung trug dazu bei, dass das Projekt "Retten wir die Frauen!" zur Diskussion im Sejm abgelehnt wurde. Diese Kompromittierung der liberalen Opposition und der sie unterstützenden Feminist*innen trägt dazu bei, dass die Organisator*innen und Teilnehmer*innen des Frauenstreiks öfter als einzige ernsthafte politische Kraft in Polen wahrgenommen werden. Wie sieht es aus Sicht der Teilnehmer*innen und Organisator*innen des Streiks und der Proteste aus? Welche Bedeutung hat der Frauenstreik für die Situation der Frauen in Polen allgemein?
Agnieszka Mróz: Seit zwei Jahren versuchen Liberale, welche die Macht verloren haben, die Unzufriedenheit von Frauen auszunutzen, um wieder öffentliche Unterstützung zu erhalten. Die Abstimmung über das Projekt "Retten wir die Frauen!" hat nachdrücklich bestätigt, wie viel die liberale Opposition wert ist. Wir brauchen keine Politiker*innen. Der Slogan "Macht ist eine Frau" ist falsch. Hat sich unsere Situation geändert seit mehr Frauen im Parlament vertreten sind? Sind unsere Löhne höher, wenn Managerinnen und nicht Manager unsere Arbeit beaufsichtigen? Was ist die Ursache für niedrige Löhne für Frauen, Kürzungen der sozialen Sicherheit, das Verbot der Abtreibung - der Mangel an Frauen an der Macht oder das Wirtschaftssystem, das nur durch die Aufrechterhaltung sozialer Ungleichheiten funktioniert? Können Menschen, die über Macht in Institutionen verfügen, die jahrhundertelang die Freiheit von Frauen eingeschränkt haben, uns befreien und zur Beseitigung der sozialen Ungleichheiten führen? Für uns war besonders ärgerlich, dass sich die Opposition für längere Zeit an die Frauenproteste anhängte, einige von denen erfolgreich in den Basisstrukturen mitmachten und sie so zu monopolisieren versuchten. So zum Beispiel die Organisation "Landesweiter Frauenstreik" ("Ogólnopolski Strajk Kobiet"), die unserer Meinung nach keine basisdemokratische Struktur mehr ist und versucht, sich die Vorleistungen der Graswurzelbewegung anzueignen.
Wir sind keine Vertreterinnen der Wirtschaft oder Politik. Wir wollen nicht als Expertinnen, Anführerinnen oder Geschäftsfrauen auftreten. Wir sind aktiv in Gewerkschaften, Mieter*innen-Bewegungen und anderen Gruppen, die gegen Ausbeutung, Armut und mangelnden Einfluss auf die uns umgebende Realität kämpfen.
GWR: Plant die IP weitere Proteste im Rahmen des Frauenstreiks? Wie sehen Eure Pläne für den Frauenkampftag aus?
Agnieszka Mróz: Natürlich werden wir auf den Straßen an den sogenannten Manifa teilnehmen, die in unterschiedlichen Städten stattfinden werden. Am 3. März organisieren wir als Basisgewerkschaft IP den Sozialen Frauenkongress in Pozna?. Es wird die erste Veranstaltung dieser Art sein, deren Ziel es ist, die Frauen zusammenzubringen, die hauptsächlich in zwei Bereichen kämpfen: am Arbeitsplatz und als Teil der Mieter*innen-Bewegung. Wir haben verstanden, dass Arbeits- und Mietprobleme - also Lohn- und Miethöhe - miteinander verbunden sind.
Als Frauen haben wir auch Einfluss auf die hauptsächliche Reproduktionsarbeit. Interessanterweise kann man seit einigen Jahren beobachten, dass sowohl die Mieter*innen-Bewegung und unsere IP-Betriebsgruppen sich immer mehr feminisieren und die Frauen in vorderster Linie aktiv sind: sie sind diejenigen, die die Zwangsräumungen blockieren, Flugblätter schreiben und vor den Betrieben verteilen, andere beraten usw.
Wir nannten unseren Kongress "Sozialer Frauenkongress: Für hohe Löhne und niedrige Mieten", was im Widerspruch steht zu "Frauenkongressen" auf denen Politikerinnen und Vertreterinnen von Arbeitgeber*innen-Organisationen auftreten.
Sie repräsentieren uns nicht, sie sprechen nicht in unserem Namen. In der Einladung zu dieser Veranstaltung schreiben wir, dass wir über gemeinsame Erfahrungen und Bedürfnisse sprechen wollen. Darüber, wie wir uns wehren können gegen Arbeit, die unser Leben in einen Alptraum verwandelt; gegen die hohen Kosten des Lebensunterhalts, die uns dazu zwingen, noch härter zu arbeiten; gegen Politiker und Chefs, die unsere Bedürfnisse ignorieren.
Wir fordern Lohnerhöhungen und feste Verträge, egal ob wir in einer Fabrik, Kulturinstitution, Kinderkrippe oder einem Supermarkt arbeiten. Wir fordern die Bezahlung für Arbeit, die wir in unseren eigenen Haushalten für umsonst erledigen müssen. Wir verlangen kürzere Arbeitstage, um mehr Freizeit für uns und unsere Angehörigen zu haben.
Wir fordern den Stopp von Zwangsräumungen und für alle die Gewährleistung des Zugangs zu Wohnungen, in denen wir im Winter nicht erfrieren. Wir verlangen die Entwicklung von öffentlichen Betreuungseinrichtungen für Kinder und ältere Menschen. Außerdem kostenlose öffentliche Verkehrsmittel und den unbegrenzten Zugang zu medizinischer Versorgung.
Der erste Teil des Treffens wird eine offene Diskussion über die Probleme sein, mit denen wir an unseren Arbeitsplätzen und Wohnorten konfrontiert sind. Im zweiten Teil werden wir über Pläne und die aktuellen Formen des Protests sprechen, wie wir soziale Frauenbewegungen aufbauen können, welche Strategien für Jetzt und für Morgen geeignet sind.
Wir hoffen, dass diese Veranstaltung die Frauen konsolidiert, die sich seit Jahren organisieren, für die der Frauenstreik ein wichtiges Ereignis war, aber er muss seinen Weg in den breiteren Kontext der Geschichte der sozialen Kämpfe für die Frauenrechte finden.
GWR: Herzlichen Dank!
Interview: Monika Kupczyk