Ein Vergleich, den Amazon am 23.03.2017 vor dem Arbeitsgericht in Poznań mit einer zu Unrecht gekündigten Arbeiterin geschlossen hat, ist nach einer Woche rechtskräftig geworden. Der Vergleich verpflichtet die Firma Amazon Fulfillment Polen, der Klägerin als Entschädigung für die rechtswidrige Kündigung des Arbeitsvertrags einen Betrag von 5.550,70 Zloty zu zahlen.
Nach Auffassung der Gewerkschaft Inicjatywa Pracownicza (IP, Arbeiterinitiative), die die Beschäftigten des Konzerns organisiert, bestätigt der Vergleich bereits bestehende Zweifel an der Zulässigkeit von Kündigungen aufgrund von Krankheit und Nichterfüllung der Norm. Die Gewerkschaft hat zu diesem Thema im August 2016 in einem Flugblatt unter dem Titel "Amazon stellt ein? Amazon kündigt!" informiert. (Link:
http://ozzip.pl/english-news/item/2164-amazon-stellt-ein-amazon-entlaesst-flugblattaktion).
Anna, die die Entschädigung erhalten hat, wurde im August 2016 wegen angeblich zu häufiger und wiederholter krankheitsbedingter Fehlzeiten entlassen. Drei weitere Arbeiter haben ebenfalls aus dem gleichen Grund gegen Amazon geklagt. Der gewerkschaftliche Bevollmächtigte, der Anna vertritt, fasst zusammen: "Solche Angelegenheiten sind nicht einfach, denn im Prinzip lässt das Gesetz Kündigungen wegen zahlreicher krankheitsbedingter Fehlzeiten zu. Der Arbeitgeber muss aber nachweisen, dass die Abwesenheit eines Mitarbeiters seine grundlegenden Interessen bedroht. Also muss immer der Einzelfall betrachtet werden. Darüber hinaus darf der Arbeitgeber bei der Entscheidung über die Einstellung und Entlassung von Mitarbeitern den Mitarbeitern nicht grundsätzlich ihr garantiertes Recht auf vorübergehende Arbeitsunfähigkeit nehmen oder die Zweckbestimmung eines unbefristeten Arbeitsvertrags umgehen." Die ehemalige Arbeiterin hat einer Abfindung in Höhe von zwei Monatslöhnen zugestimmt - sie wollte nicht zurück zu Amazon und der Prozess hätte noch mindestens mehrere Monate gedauert. Außerdem ist die ausgehandelte Entschädigung immer noch höher als der niedrigste Entschädigungssatz, den sie vor Gericht hätte bekommen können, wenn ihre Klage Erfolg gehabt hätte.
Agnieszka Mróz von der Inicjatywa Pracownicza kommentiert: "Wenn die Firma sicher gewesen wäre, dass sie nichts falsch gemacht hat, hätte sie nicht einem Vergleich zugestimmt, der sie zwingt, über 5.000 Zloty zu bezahlen. Als Gewerkschafter hoffen wir, dass die Welle von unbegründeten und aus Sicht der Arbeiter ungerechten Entlassungen damit gestoppt ist. Die Entschädigung zeigt deutlich, dass es sich lohnt, für seine Interessen zu kämpfen, mit der Sache zur Gewerkschaft zu gehen und gemeinsam aktiv zu werden. Wir appellieren noch einmal an die Arbeiter und Arbeiterinnen, nicht übereilt freiwillige Aufhebungsverträge zu unterschreiben, wie es die Firma oft vorschlägt, wenn sie jemanden loswerden will."
Seit August 2015 wurden mit Rechtshilfe von der Inicjatywa Pracownicza zwölf Verfahren gegen Amazon Fulfillment Polen vor das Arbeitsgericht gebracht. In elf Fällen klagen die Arbeiter auf Wiedereinstellung oder Entschädigung wegen rechtswidriger oder unbegründeter Kündigungen. Soweit wir wissen, sind auch andere Arbeiter, die nicht in unserer Gewerkschaft organisiert sind, eigenständig gegen die Firma vor Gericht gegangen. Möglicherweise hat Amazon keine drei Jahre nach Betriebseröffnung in Polen schon Dutzende von Verfahren am Hals.
Bei den Verfahren gegen Amazon lassen sich mehrere Kategorien unterscheiden. Zum einen ist ein großes Problem bei Amazon die quantitative und qualitative Norm. Mitarbeiter, die die Norm nicht schaffen, d.h. die zu wenige Produkte pro Stunde scannen oder zu viele "Fehler" begehen (indem sie einen Artikel ins falsche Regal legen, einen Artikel nicht scannen o.ä.), bekommen ein sogenanntes "negatives Feedback". Die Firma behauptet, vier solche "Feedbacks" hintereinander (z.B. jede Woche) oder insgesamt sechs pro Jahr würden ausreichen, um selbst gegen langjährig Beschäftigte eine sogenannte "Entlassungsempfehlung" auszusprechen. Die Norm ist oft unrealistisch. Zwei Mitglieder der Inicjatywa Pracownicza, die nach Empfang solcher "Empfehlungen" entlassen wurden, haben gegen Amazon Klage eingereicht, weil sie die Entlassungen für ungerechtfertigt halten. Sie beziehen sich auch auf formale Mängel oder darauf, dass die Kündigung diskriminierenden Charakter hat. Die Verfahren sind anhängig, in einen wurden bereits die Parteien und ein Teil der Zeugen vernommen. In einem anderen Fall bestreitet ein Kollege die Berechtigung der gegen ihn ausgesprochenen Kündigung, die damit begründet wurde, dass er Anordnungen seines Vorgesetzten nicht befolgt hätte, da die Kündigungsgründe schlicht unwahr sind.
Zweitens klagen zwei unserer Mitglieder gegen die Kündigung (oder Nichtverlängerung) ihres Arbeitsvertrags wegen angeblicher Beteiligung an einer illegalen Protestaktion, bei der langsam gearbeitet wurde. Es geht um einen lautstarken wilden Protest im Juni 2015, bei dem die Arbeiter aus dem Pick dagegen protestierten, dass während eines Streiks ihrer Kollegen in Deutschland zwangsweise Überstunden angeordnet wurden. Nach der Aktion bekamen einige, nach Auffassung der Gewerkschaft zufällig ausgewählte Arbeiter vom Arbeitgeber die Kündigung. Das Verfahren läuft noch.
Einer der schwerwiegendsten Fälle betrifft unseren Kollegen Maciej, der im Sommer 2016 wegen Nichterfüllung der Norm entlassen wurde, obwohl er als gewerkschaftlicher Vertrauensmann unter besonderem Kündigungsschutz stand. In diesem Fall wurde noch nicht mal ein erster Verhandlungstermin angesetzt. Amazon hat Maciej entlassen, obwohl er als Vertrauensmann Kündigungsschutz genoss und die Gewerkschaft der Kündigung nicht zustimmte. Die Inicjatywa Pracownicza hat dies schon während einer Kundgebung vor dem Amazon-Verwaltungssitz in Warschau kritisiert.
Amazon begeht auch einen Fehler, wenn vor Kündigungen nicht die Stellungnahme der Gewerkschaft eingeholt wird, was mit großer Sicherheit gegen das Gewerkschaftsgesetz verstößt. So wurde zum Beispiel eine in der IP organisierte Arbeiterin im Amazon-Lager bei Wrocław auf diese Weise entlassen und hat eine gute Chancen darauf, vor Gericht eine Entschädigung zu bekommen - sie klagt nicht auf Weiterbeschäftigung, weil sie nicht mehr bei Amazon arbeiten will.
Wir halten euch über den Ausgang der nächsten Verfahren auf unserer Website auf dem Laufenden.
Siehe auch:
Vor Gericht gegen Amazon
"Amazon stellt ein? Amazon entlässt!" - Flugblattaktion:
Dialog mit den Mitarbeitern? Gewerkschafter werden bei Amazon nicht hereingelassen (Video)